Würde es im Handballsport einen Oscar geben, ging der für das beste Drehbuch in dieser Saison ganz sicher an die HSG Lumdatal. Stand das Frauenlandesliga-Team im Juni vergangenen Jahres noch ohne Trainer da, fegte die Mannschaft um Spielführerin Madeleine Müller in der Spielzeit 2018/19 wie ein Wirbelwind über ihre Gegner hinweg und hat den Oberliga-Aufstieg seit dem 30:25-Erfolg beim TSV Griedel bereits in der Tasche. Und das ohne jeglichen Punktverlust!

„Wir wurden als untrainierbar dargestellt, als die Altweisen bezeichnet”, denkt der HSG-Käptn heute lachend an die Zeit vor der Saison zurück. “Aber natürlich hat uns das unheimlich geärgert, denn wir haben ja auch schon nachgewiesen, dass wir gut mit Trainern zusammenarbeiten und auch Erfolg haben können.” Aber nachdem sich in der Spielzeit 2017/18 gleich vier verschiedene Übungsleiter probiert hatten, gestaltete sich die Trainersuche schwierig, sodass Michael Gilbert – in Personalunion auch Vereinsvorsitzender – auf der HSG-Bank einsprang.

„Nach der komplizierten Vorsaison noch Kandidaten zu finden, war fast unmöglich, da viele die hohe Fluktuation bei uns ja bemerkt hatten. Als es dann aber schon fast Juli war, musste eine Entscheidung her”, erinnert sich Gilbert.Dessen Arbeit mit dem Team, das in großen Teilen seit vielen Jahren zusammen ist und von der Eingespieltheit lebt, war einer der Gründe für den Lumdataler Höhenflug. „Er hat nicht versucht, alles umzukrempeln, sondern hat unsere Stärken in den Vordergrund gestellt und diese weiter ausgebaut. Vor allem menschlich passt Michael super zu uns”, lobt Madeleine Müller ihren Coach in den höchsten Tönen.Eine wichtige Rolle spielte auch Simone Stroh, die als Athletiktrainerin hinzukam. Denn es hatte sich eine enorme Anzahl an zum Teil schweren Verletzungen in den Vorjahren wie ein “roter Faden” durch das Team gezogen. “Dadurch sind wir zwar mit wenig Spielpraxis, aber topfit in die Saison gegangen”, lobt Gilbert Strohs Arbeit; und Müller schiebt nach: „Durch die unfreiwillig lange Pause im Sommer hatten wir dann alle richtig Bock auf Handball und Spaß, als es endlich richtig losging.”

Dennoch waren die Erwartungen vor der Saison eher gering, zum Auftakt in Idstein quälten sich die Lumdatalerinnen zu einem 30:29-Sieg. Doch nach drei weiteren Erfolgen brillierte die HSG auch bei der HSG Eibelshausen/Ewersbach und spielte den Oberliga-Absteiger eine Halbzeit lang an die Wand. „Das war ein absoluter Schlüsselmoment. Da ist der Knoten bei uns geplatzt”, berichtete Müller zudem, dass sie damals sogar vom Gastgeber-Publikum mit Applaus bedacht wurden. Nachdem auch das Topspiel gegen Leihgestern (22:20) in der Woche darauf gewonnen wurde und Lumdatal dadurch verlustpunktfrei in die Winterpause ging, war es an der Zeit, sich neue Ziele zu stecken.

„Die Entwicklung des Teams war von Spiel zu Spiel erkennbar, wir haben uns immer weiter gesteigert. Den Glauben an die eigene Stärke haben wir sehr spät entwickelt, aber das war nochmal unheimlich wichtig”, berichtet Trainer Gilbert, dass die Mannschaft sich an der Weihnachtsfeier vorgenommen hatte, Platz eins nicht mehr herzugeben. Und das gelang bravourös, zumal der Spitzenreiter auch in schwächeren Spielen wie in Oberursel (29:27) die Nerven behielt und in den entscheidenden Momenten seine Klasse ausspielte. So auch beim absoluten Saison-Highlight, der Partie bei Verfolger TSG Leihgestern Mitte März, als Lumdatal einen 17:18-Rückstand in der Schlussphase in einen 27:24-Sieg umwandelte und den alles entscheidenden Schritt Richtung Oberliga machte.

„Da ist uns ein Stein vom Herzen gefallen, das war sehr emotional, denn natürlich steigen die Anspannung und auch der Druck, wenn man sich irgendwann den Aufstieg als Ziel setzt. Aber in dem Spiel hat uns auch geholfen, dass wir auf jeden Fall Tabellenführer geblieben wären. Dadurch hatten wir am Ende die Lockerheit und haben über das Team gewonnen”, erzählt Müller vom Topspiel-Sieg, dem nur zwei Spieltages später der eingangs erwähnte letzte Meisterschritt beim TSV Griedel folgte. Neben der Eingespieltheit ist vor allem die Ausgeglichenheit des Kaders ein großes Plus der HSG. Neben etablierten Kräften wie Spielmacherin Hanna Schmidt oder den Müller-Schwestern trugen auch immer wieder Eigengewächse wie Nina Hasenkamp oder Sibell Althen in Teil zum Aufstieg bei.

„Aber auch die Leistungssteigerungen von Katha Smajek oder Selina Sauer waren entscheidend oder die Rückkehr von Pia Cybulski. Julia Olemotz hat zudem im Tor eine klasse Runde gespielt”, betont Gilbert. Damit, dass die HSG die zweitbeste Abwehr der Liga stellt, war nach dem Abgang von Stammtorhüterin Sandra Elisath zum Zweitligistin HSG Gedern/ Nidda nicht zu rechnen gewesen.

Damit heißt es nach 2016 für die Lumdataler Damen nun zum zweiten Mal “Oberliga, wir kommen!”. “Diesmal wollen wir natürlich sehr gerne länger drinbleiben”, so Spielführerin Müller angesichts der Tatsache, dass die HSG damals nach zahlreichen verletzungsbedingten Ausfällen direkt wieder absteigen musste. „Wichtig wird sein, gut in die Saison zu kommen. Es wird viele enge Spiele geben, da musst du punkten. Aber generell wollen wir uns weiterentwickeln, und es ist schön, zu sehen, dass die jungen Spielerinnen auch immer mehr Verantwortung übernehmen. „Das Gesicht der Mannschaft wird sich bis dahin nur unwesentlich ändern, dem Meisterteam, das sich die neue Liga erarbeitet hat, soll das Vertrauen geschenkt werden. „Alles andere wäre auch unfair”, so Gilbert, auch in seiner Funktion als Vorsitzender. „Wir wollen den Spaß am Handball bieten. Wenn, dann Spielerinnen aus der Gegend einbauen, die auch Bezug zum Verein haben, und auch jungen Spielerinnen zeigen, dass sie hier die Chance haben, es in die erste Mannschaft zu schaffen.”

Dass der Meistertrainer in der kommenden Saison weiter dabei ist – in welcher Funktion auch immer – scheint aktuell wahrscheinlich. Und trotz des “Drehbuch-Oscars” kann die HSG Lumdatal auf einen zweiten gut verzichten und wird nicht wieder bis in den Sommer ohne Coach dastehen. Und dass sie trainierbar ist, hat die Mannschaft nach einer bislang perfekten Saison ebenfalls klar nachgewiesen.

Foto: Steffen Bär